(Stand 30.5.2022)
Schon seit dem 17. Jahrhundert entstehen in Deutschland Gruben für den Kohleabbau.[1] Im Zuge der Industrialisierung erfuhr der Tagebau einen regelrechten ‚Boom‘ und die Gruben wuchsen so stark, dass dafür die ersten Dörfer weichen mussten.[2] Die Zerstörung von Ortschaften und die Umsiedelung ihrer Bewohner*innen sind bis heute gängige Praxis.
Dabei sind die Bewohner*innen gezwungen ihre Grundstücke von Gutachter*innen bewerten zu lassen und sie an den Kohlekonzern zu verkaufen. Weigern sie sich, können sie zwangsenteignet werden.[3] Dieses Projekt macht die teilweise und vollständig abgebaggerten Ortschaften und die zugehörigen Tagebaue wieder sichtbar. Beginnen wir mit einer Übersicht der Reviere.
In der Geschichte des Braunkohletagebaus entstanden in Deutschland mindestens 78 Tagebaue, für die Ortschaften weichen mussten. Sie sind auf der Karte verzeichnet. Lass uns die drei größten Tagebaureviere, in denen bis heute Kohle abgebaut wird, genauer betrachten:
Das Rheinische Revier im Städtedreieck Aachen, Köln, Mönchengladbach wird heute ausschließlich von RWE betrieben. Das Revier beinhaltet die drei großen noch aktiven Tagebaue Garzweiler, Hambach und Inden.[4]
Im Mitteldeutschen Braunkohlerevier entstand bereits 1698 die erste Kohlegrube in Müncheln/Braunsbedra. Insgesamt wurden hier über 120 Ortschaften teilweise oder vollständig abgebaggert. Heute betreiben MIBRAG und ROMONTA insgesamt noch drei Tagebaue.[4]
Die aktiven Tagebaue im Lausitzer Revier im südosten Brandenburgs werden von LEAG betrieben.[4]
Neben diesen Revieren zeigt die Karte auch Tagebaue aus dem Helmstedter Revier, dem Oberpfälzer Revier und Tagebaue der SDAG Wismut, die allesamt nicht mehr in Betrieb sind.
Zu den ersten Ortschaften, die von einer Umsiedelung betroffen waren, gehört Rusendorf im Mitteldeutschten Braunkohlerevier. Das Dorf wurde zwischen 1927 und 1933 für den Tagebau Phönix-Falkenhain abgebaggert. Ca. 150 Bewohner*innen wurden umgesiedelt. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden rings um Rusendorf Tagebaue errichtet, wodurch das Dorf nur noch über Umwege zu erreichen war. Nachdem 1927 die ersten Familien das Dorf verließen, wurde die Gemeinde 1932 nach Falkenhain eingemeindet.[5]
Heute befindet sich an der Stelle des Dorfes der Rusendorfer See der im Zuge der Renaturierung des Gebiets entstand. Ein Gedenkstein in der Nähe des alten Ortsflurs erinnert an das Dorf.
Ab 1937 entstand in Espenhain ein Braunkohletagebau um die Kriegsmarine der Nazis mit Schwer-, Heiz- und Dieselöl zu versorgen. Ab 1938 kamen die ersten Zwangsarbeiter*innen nach Espenhain. Fortan gab es große Unterschiede in der Behandlung der Arbeiter*innen.
Die rassistische Hierarchisierung stellte deutsche Staatsangehörige an oberste Stelle, danach kamen Menschen aus verbündeten Staaten, Kriegsgefangene und Arbeitskräfte aus dem Westen und schließlich Menschen aus Ostmittel- und Osteuropa sowie sowjetische Kriegsgefangene und Arbeitserziehungslagerhäftlinge. Diese arbeiteten häufig unter lebensbedrohlichen Bedingungen.[6]
In den Wohnlagern rund um Espenhain wurden Frauen aus Frankreich und Polen zur Prostitution gezwungen. Insgesamt verstarben mindestens 285 Menschen in den Lagern. Einen detaillierten Artikel über die Zwangsarbeit in Espenhain findest du hier. Der Tagebau wurde 1996 schließlich stillgelegt. Heute befindet sich im Restloch des Tagebaus der Markkleeberger und Störmthaler See.[7]
Später wurde der Tagebau Espenhain für die DDR relevant. Wie im gesamten Mitteldeutschen und Lausitzer Revier wurde der Kohleabbau ausgeweitet und zahlreiche Dörfer umgesiedelt. Alle 20 Ortschaften die dem Tagebau Espenhain zum Opfer fielen, wurden zu DDR-Zeiten abgebaggert. Da viele Bürger*innen von der Arbeit in den Kohlegruben abhängig waren, regte sich nur selten Widerstand gegen die Umsiedelungen. Ende der 80er Jahre wurden Umweltthemen jedoch relevanter und der Druck auf die Regierung wuchs.[8]
Die Ausdehnungen von Braunkohletagebauen und die damit einhergehende Umweltzerstörungen sind oftmals gewaltig. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist der Tagebau Hambach im Rheinischen Revier. Er besitzt die größte Braunkohlegrube Europas und erstreckt sich heute über rund 44km².[10] Das entspricht der Fläche von über 6.000 Fussballfeldern.
Seit sich 1978 die ‚Hambachgruppe‘ gründete gibt es immer wieder Protestbewegungen gegen den Tagebau Hambach. Diese richteten sich sowohl gegen die Umsiedelung von Dörfern als auch gegen die Umweltschäden durch CO², Feinstaub, wasserwirtschaflich-ökologische Langzeitfolgen und die Abholzung von Waldflächen.[11] Warum insbesondere Braunkohle so schlecht für das Klima ist, kannst du hier nachlesen.
Der Kampf gegen Umsiedlungen und die Klimaschäden durch Tagebau hat in Deutschland Tradition und beginnt schon Ende des 19. Jahrhunderts.[12] Im Zuge der Klimakrise erhöht sich der Druck auf die Politik den Abbau von Kohle zu stoppen. Neue Bewegungen wie ‚Fridays for Future‘ treten auf die Bildfläche. Einen besonderen Fokus auf den Kampf gegen die Umsiedlung von Dörfern durch Tagebau setzt das Bündnis ‚Alle Dörfer bleiben‘. Auf ihrer Website befindet sich eine Übersicht über die derzeit umkämpften Dörfer.[13] Darunter befinden sich auch neun Dörfer die aktuell vom Tagebau Garzweiler oder von dessen Grubenrandlage bedroht sind. Damit wurde er in der Vergangenheit häufiger Ziel von Protestaktionen. So versuchten Demonstrant*innen bei einer Aktion der Bewegung ‚Ende Gelände‘ 2019 den Tagebau zu besetzen.
Bei der Aktion im Folgejahr waren die Demonstrant*innen bei der Besetzung erfolgreich und blockierten mehrere Kohlebagger.[14] Informationen zur Teilnahme an Protestaktionen findest du auf den Websites der genannten Gruppen.
Das war nur ein kleiner Einblick in die Geschichte des Deutschen Tagebaus. Wenn du erfahren möchtest welche weiteren Dörfer den Baggern weichen mussten, kannst du die Karte selbst erkunden.